Sweet France & Adieu


Mikrokino #9

1. Film: Sweet France


Buch und Regie: Mogniss H. Abdallah/Ken Fero, F 1993
VHS, Doku, 52 Minuten, engl. OF

Die aktuellen Unruhen in den französischen Banlieues haben eine lange Vorgeschichte: Sartre erklärte Ende der 60er Jahre, die „Dritte Welt“ beginne in den Pariser Vorstädten, Mitte der 80er Jahre organisierten junge MigrantInnen eindrucksvolle Demonstrationen, um auf ihre ungesicherte Situation und den wachsenden Rassismus aufmerksam zu machen. „Sweet France“ von Ken Fero und Mogniss H. Abdallah interpretiert das Chanson „Douce Francecher pays de mon enfance“ (Süßes Frankreich, liebes Land meiner Kindheit) ironisch und zeichnet die Geschichte der „Beur-Bewegung“ nach, der spontanen Organisation der Kinder der ArbeitsmigrantInnen in Frankreich.


2. Film: Adieu

Buch und Regie: Arnaud des Pallières, F 2003
VHS, 123 min., frz. OF + dt. UT.
Darsteller: Michael Lonsdale, Olivier Gourmet, Aurore Clément und Laurent Lucas
Musik Martin Wheeler

Im Mittelpunkt des Films stehen drei Schicksale: Ein Algerier flieht vor der mörderischen Gewalt in seinem Heimatland und wird zum illegalen Einwanderer in Frankreich, was ein Leben voller Angst und Demütigungen mit sich bringt. Eine Familie trauert um ihren Sohn. Das dritte Schicksal ist- so ungewöhnlich dies auch klingen mag - das eines Lastwagens, der durch Frankreich fährt. Alle sind unterwegs, in einem abweisenden, wenig gastfreundlichen Land, wo Glaube und Hoffnung von vielen in Frage gestellt werden und alles nach grausamen, subjektiven Regeln funktioniert.
Ismahël ist aus Algerien nach Frankreich emigriert, weil sein Leben in Algerien in Gefahr ist. Als politischer Asylant wird er jedoch nicht anerkannt und landet zuerst im Heim, dann bringt man ihn nach Algerien zurück. Aus dem Gefängnis schreibt er Briefe an seine Tochter. Eine zweiter Erzählstrang berichtet von einer französischen Bauernfamilie, die ihren jüngsten Sohn verliert. Während des Begräbnisses bricht der Vater zusammen; die beiden Geschichten sind kunstvoll miteinander verwoben.

Ich wollte eine chorale Inszenierung ohne Hauptfigur, in der die Bewegungen und das Gemisch von Stimmen wichtiger sind als die Leistung von einem oder zwei Solisten. Der Anschluss, sei es von Aufnahmen oder Erzählsträngen, von Bild oder Ton, scheint mir das bevorzugte und einzigartige Werkzeug des Kinos. Dies zeigt die Form von Ismahëls Geschichte: aus Jonas Perspektive anhand einer Gegenüberstellung von Bildern und Tönen aus dem Off erzählt, liegt ihr Sinn darin, zwischen (ausgesprochener) Allegorie und (stumpfer) Realität einen Bezug herzustellen. Die Erzählung über die Bauernfamilie entspricht einer klassischeren Form. Dieser Unterschied zwischen den Stilen verstärkt die Konfrontation zwischen den Situationen. (Arnaud des Pallières)

ARNAUD  DES PALLIERES
Geboren 1961. Film- und Literaturstudium. Arbeitet regelmäßig mit dem Schauspieler Mohamed Rouabhi, dem Komponisten Martin Wheeler, dem Kameramann Julien Hirsh und der Produktiosfirma Les Films dIci zusammen. Dreht mehrere Kurzfilme und Langfilme, die sich an der Grenze zwischen Dokumentar- und Speilfilm bewegen. (Auswahl): Gilles Deleuze: Quest-ce que lacte de création? (1987), Avant après (1993, KF), Les Choses rouges (1994, KF), Drancy avenir (1996), Disneyland, mon vieux pays natal (2001). (Viennale)