Nachruf Bregenz

Noch bis 14. August stellt Uwe Jäntsch im ehemaligen Rupp Cheese Innovation Büro in Lochau Werke seiner Bregenzer Schaffensperiode aus. Nach der Ausstellung "Nachruf Bregenz" wird das Gebäude abgerissen, um Platz für exklusive Wohnungen zu schaffen. Uwe Jäntsch im Gespräch mit Max Dax:

Dax: Guten Abend Bregenz, guten Abend Lochau, zwei Dinge vorweg zu Uwe Jäntsch, der für mich immer UWE ist, in Großbuchstaben, wie in „UWE ti ama“, wie in: „UWE liebt dich.“

Erstens: Heute Abend ist UWE in Lochau, und prompt gibt es eine Unwetterwarnung. Ganz offiziell. Die Sonnenschirme müssen eingeholt werden, sonst fliegen sie weg.

Zweitens: Wo UWE ist, ist ein Energiefeld. Als ich UWE vor fast zehn Jahren in Palermo begegnet bin, hieß es: „Max, du musst UWE kennenlernen.“ Der das sagte, war Baron Alfonso Palmisano. Ich fragte ihn: „Woran erkenne ich UWE?“ Der Baron: „Du wirst ihn erkennen.“

Also begab ich mich in die Vucciria, das alte Zentrum Palermos, heute verfallen und verlassen, um UWE zu treffen. Auf dem Weg dorthin habe ich mir eine riesige Fahne des Fußballclubs von Palermo, dem U.S. Città di Palermo, gekauft. Diese Fahne in den Farben — von allen Farben! — Rosa  und Schwarz, schwenkte ich, als ich die menschenleere Piazza Garaffello in der brütenden, unbarmherzigen sizilianischen Mittagshitze betrat. Das heißt, ganz menschenleer war sie nicht. Ein großer Mann im Schatten der Piazza beobachtete die Szenerie. Ich fragte ihn nach UWE, und er antwortete: „UWE, das bin ICH!“ Und heute Nachmittag begegnete ich UWE mit Aktentasche am Bodensee, am öffentlichen Steinstrand von Lochau. Zufall? Energie?

Auf alle Fälle ist dies heute Abend eine Art Blind Date. UWE bat mich, ihm Fragen zu Bregenz und zu dem Katalog zu seiner heutigen Ausstellung zu stellen. Er hatte mich zudem gebeten, unvoreingenommen zu sein, den Katalog eben nicht vorher studiert zu haben. Meine Fragen sollten die eines Deutschen sein, der nicht von hier ist, sondern von dort, dem Dort, das einen Kilometer von hier beginnt.

UWE, meine allererste Frage lautet: Wohin führt die Seilbahn, die auf dem Umschlag des Katalogs abgebildet ist?

UWE: Das ist die Pfänderbahn. Die führt hinauf zur Pfänderspitze. Früher einmal war sie aus Holz gebaut. War es nicht so? (Frage ins Publikum)

Vernissagenpublikum: Ja, genau so war es.

UWE: Von der Pfänderspitze kann man nach unten gucken.

Dax: Fährt man hinauf, um hinunter Ski zu fahren, oder wandert man hinauf und fährt mit der Pfänderbahn wieder hinunter?

UWE: Beides ist möglich.

Dax: Blättern wir um, kommen wir zum Vorsatz , der wiederum an die Rückseiten von Spielkarten erinnert.

UWE: Das sind aber keine Rückseiten von Spielkarten, das ist das Stadtwappen von Bregenz. Hält man es weit weg, wird es zur grauen Fläche.

Dax: Gewidmet sind Katalog und Ausstellung deiner Mutter Annelie. Die Ausstellung trägt den Titel „Nachruf Bregenz“.

UWE: Das erste Bild in dem Katalog, „Maurachgasse“, habe ich in ihrer Wohnung gemalt. Alle anderen Bilder sind im Atelier entstanden. In dem Bild schweben alle Figuren. Bereits den „Stadtplan“ habe ich 1992 im Atelier gemalt. Der Stadtplan ist wichtig, damit man sich orientieren kann in Bregenz.

Dax: Genial. 1992 warst du wie alt?

UWE: Da war ich 22 Jahre alt.

Dax: Dann warst du 1977 also sieben Jahre alt, als du die Pfänderbahn in einer Kinderzeichnung mit Tieffliegern, Zeppelin und Hubschrauber verewigtest.

UWE: Genau, und ich war 24, als ich die Pfänderbahn wieder malte. Der Blick von oben ist wichtig.

Dax: Und wann wurde Bregenz im Krieg bombardiert?

UWE: Das müssen wir die Stadträtin fragen!

Die Stadträtin: Bregenz wurde im Mai 1945 bombardiert, zehn Tage nach Kriegsende.

Dax: Das ist doch bizarr.

Die Stadträtin: So ist Krieg!

UWE: Genial. Natürlich habe ich ein Bild dazu gemacht. Es ist auch im Katalog.

Dax: Warum bist du eigentlich nach Palermo gegangen?

UWE: Eine geniale Frage. Jürgen, diese Frage kannst nur du wirklich beantworten. Jürgen?

Jürgen Weishäupl: UWE?

UWE: Du musst schon zuhören, was der Dax fragt. Du bist hier schließlich der Moderator!

Jürgen Weishäupl: Was hat der Dax denn gefragt?

Dax: Warum ist UWE eigentlich von Bregenz nach Palermo gegangen?

Jürgen Weishäupl: Ich habe in Palermo eine Residency ausgeschrieben, und UWE hat diese Residency als erster zugesprochen bekommen. Er wurde von mir für drei Monate in die Vucciria eingeladen, um dort zu produzieren. Er blieb achtzehn.

Dax: Jahre, nicht Monate?

UWE: Genau.

Dax: Vielleicht sollten wir dem Vernissagenpublikum einmal erklären, was genau die Vucciria für eine Bedeutung hat — für Palermo, für die Welt.

UWE: Jürgen?

Jürgen Weishäupl: Die Piazza Garaffello ist das Zentrum der Vucciria. Die Piazza Garaffello ist dort, wo einst im Hafen eine Süßwasserquelle war. Zunächst kamen die Menschen mit Booten, um dieses heilige Wasser zu schöpfen. Dann bauten sie Stege. In den Stegen verhängte sich Dreck. Irgendwann halfen die Menschen nach, und aus dem Hafen wurde Land. Die Menschen bauten die Vucciria um den Süßwasserbrunnen herum.

Dax: Da brauchen wir gar kein Wikipedia mehr.

UWE: Geniale!!!

Jürgen Weishäupl: Und jetzt singe ich ein Lied! Meine Damen und Herren, in wenigen Minuten geht es weiter mit dem zweiten Teil der Diskussion zwischen UWE und Max Dax, der extra aus Berlin angereist ist, um mit UWE dieses Gespräch zu führen. Aber jetzt erst einmal das Lied:

Von den blauen Bergen kommen wir,
Von den blauen Bergen, ach so weit von hier.
Reisen, das ist unsre Wonne,
Scheint auch noch so heiß die Sonne,
Von den blauen Bergen kommen wir.

Singen jaja jippi jippi jeh
Singen jaja, jippi jippi jaja
Jippijippi jaja, jippi jippi jeh!

Dax: Während gesungen wurde, habe ich mir einmal den Katalog durchgeblättert. Ein Bild trägt den Titel „Herzblut“ und stammt aus dem Jahr 1999 — also kurz bevor du nach Palermo gezogen bist. Man sieht die Fotografie eines kleinen Mädchens, dem das Herz herausgerissen wurde. Warum bezeichnest du diese Arbeit als „Originaldokument“?

UWE: Weil sie auf einer 100-jährigen Originalfotografie aus dem Bregenzer Stadtarchiv basiert. Du weißt schon: Glasnegative, Heiligenbilder.

Dax: In Palermo gibt es Ikonenmalerei hinter Glas.

UWE: Und auch Bregenz ist zu 99% Katholisch. Dieses Bild nimmt alles vorweg, was anschließend in Palermo passieren wird. Wir gehen ins Herz und reißen es heraus. In Bregenz wurde der Plan entwickelt, in Palermo wurde er umgesetzt.

Dax: Als ich 2008 mit meiner Fußballfahne durch Palermo spazierte, fielen mir Rosen auf, die an die Innenwände — in Österreich würde man wohl sagen: die Tapeten — von Palästen gemalt waren, deren Fassaden eingestürzt waren. Man konnte also von der Straße aus wie in Puppenhäuser hineinblicken — und sah Rosen. Mir war sofort klar, dass es sich hier nicht um Street Art handelte und auch nicht um Graffitis, sondern um Kunst, die bewusst nur Innen- oder Privaträume bespielte. Andere Rosen
waren auf Schildern angebracht oder auf Rollgittern — aber nie auf Häuserwänden. Erst später erfuhr ich, dass die Rosen von UWE gemalt worden waren.

UWE (hält die Doppelseite mit den Rosen in der Galerie Gregor K. hoch): So hat das ausgesehen in der Galerie, die nie existierte. Und so sah es auch in Palermo aus. Nur dass…

Dax: …Palermo auch nie existierte.

UWE: Genau.

Dax: Ich habe im Übrigen immer gedacht, dass die lila Milka-Kuh aus der Schweiz stammt. Aber deine Arbeit „Bregenzerwald“ aus dem Jahr 2000 suggeriert, dass sie aus dem Vorarlberg kommt.

UWE: Diese Frage stellen wir ans Fachpublikum: Wo kommt die Milka-Kuh her?

Das Vernissagenpublikum: Bludenz! Bludenz! Bludenz!

Dax: Wo liegt Bludenz?

UWE: In Vorarlberg.

Eine Stimme aus dem Vernissagenpublikum: Da steht die Milka-Fabrik.

Zweite Stimme aus dem Vernissagenpublikum: Die Milka-Kuh wurde vom Metzger längst zu Salami verarbeitet.

Dax: Salami? Nicht Bresaola?

Zweite Stimme aus dem Vernissagenpublikum: Nein, Salami!

Dax: Verwundert war ich über das Bild „Raum Nr. 24“, das nicht nur ein Hakenkreuz, sondern gleich mehrere zeigt. Ich dachte, dieses Symbol sei in Österreich nicht bekannt.

UWE: Es wurde ja auch nie gemalt, dieses Bild.

Dax: Du meinst, es war eine Performance? In der Bildunterschrift steht: „15. Juli 2000, Galerie Gregor K., Bregenz“.

UWE: Die Galerie hat es bekanntlich nie gegeben. Also hat es auch die Performance nie gegeben. Es gibt zwar Artikel in den Vorarlberger Nachrichten über diese Galerie, aber die bestätigen nur das bereits Gesagte.

Der Stadtrat von Dornbirn: Ich habe auf Wikipedia nachgeschaut: Die Milka-Kuh stammt tatsächlich aus der Schweiz.

Dax: Und was ist mit den Spielkarten? Du hast 2001 ein 36-teiliges Set Jasskarten gemalt. Die Karten erinnern an Scopa-Karten.

UWE: Scopa, das spielt man in Palermo. In Bregenz jasst man. In der Wirtschaft. Nach dem Essen wird hier gejasst. Das Spiel gehört dazu, denn es markiert die Gegenwart. Nichts fürchtet der Österreicher so wie die Vergangenheit.

Dax: Die Gegenwart ist der Nachruf auf die Vergangenheit. Interessant übrigens, dass das Jassen in Wirtschaften in Österreich erlaubt ist. In Italien ist das Scopa-Spiel in Restaurants, vor allem im Speisewagen der Staatsbahn, bizarrerweise verboten.

UWE: Genial!

Dax: Eine letzte Frage: Was man früher das Beschmieren von Wahlplakaten nannte, heißt bei dir „Lack auf Wahlplakat, 2013“. War das ein Plakat von Jörg Haider?

UWE: Auch Jörg Haider hat es nie gegeben.

Jürgen Weishäupl: Max Dax aus Berlin, Uwe Jäntsch — vielen Dank für die Diskussion. Ich singe jetzt zum Ausklang noch ein Lied:

O Hoamatle, o Hoamatle am himmelblaua Bodasee
Döt wär i wider forh! Wia wär mir döt bim
Hirtagjohl so licht ums Herz,
So engelwohl, wie niana meh a so!

Doch kannas numma, numma si und kumm i humma, numma hi
Zum laba Hoamatle: So nimm min letschta Gruß dafür,
So nimm da letschte Gruaß voa mir, du schöna Bodasee!


Blogbeitrag vom 29.07.2015, gepostet von Michael Fritz