Bora Cosic


Geboren 1932 in Zagreb, aufgewachsen in Belgrad, lebt seit 1992 in Berlin und  Rovinj/ Istrien. Studium der Philosophie in Belgrad, Übersetzer von Chlebnikow und Majakowski ; seit Anfang der 1960er-Jahre zahlreiche Essays und Romane. Sein Werk zeigt Einflüsse der Psychoanalyse. Cosic galt als Vertreter der Belgrader Avantgarde. Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2002.

Wichtigste Publikationen: „Wie unsere Klaviere repariert wurden“ (1968), „Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution“ (1994), „Musils Notizbuch. Ein Roman aus Triest“ (1994), „Die Zollerklärung“ (2001), „Das Land Null“ (2004), „Irenas Zimmer“ (2005), „Die Reise nach Alaska“(2006)

 

         

QUASI-GINSBERG

Noch vor fünfzig Jahren
habe ich meinen Mantel ausgezogen
die Krawatte weggeworfen
die Schuhe abgestreift
habe nicht einmal mein Gesicht gewaschen an dem Tag
nicht die Zähne geputzt
so bin ich rausgegangen
in unsere stolze amerikanische Hauptstadt
in unser beschissenes Paradies des Westens
sogleich versammelte sich die Bande
meiner Gleichdenker
Carr Kerouac Burroughs Cassady
hässlich schmutzig böse
um damit die dümmlichen Schönlinge zu entlarven
saubere gebadete Schwachköpfe
gutmütige Idioten
wir haben mächtig viele Sachen zerfetzt
das Empire State Building mit Scheiße beschmiert
mit unserem Sperma den Fluß Hudson verzweifacht
hunderte jungfräuliche schwarze und weiße Jungs gepoppt
und sie uns poppen lassen wieviel sie wollen
dabei brüllend
die eiserne Internationale schwule Marseillese
denn ohne Schreie können sie nicht aufwachen
die billigen Hirne der Kneipenbesitzer
Tankstellen Kinos und Bordells
wir haben die Dummheit des amerikanischen Lebens                                                        
zerrüttet
den Blödsinn der amerikanischen Familie
den Idiotismus der amerikanischen Politik
den Amerikanismus des amerikanischen Amerikas
auf dem Rasen vor dem weissen Haus
wir haben die Unterhosen vor dem Präsidenten                                                                                                                                                   
heruntergezogen
um damit seine Lügen bloßzulegen
mit unseren Furzen haben wir vergiftet
Kinosääle samt ihren dummen Filmen
Hallen für imbezile Teeparties
Saäle für Parteikonferenzen
für Auktionen
für die verfolgung antiamerikanischer Tätigkeiten
wie auch den wichtigsten
Saal des Kongresses voll mit hochnäsigen Dieben
wir haben unsere giftigen Drogen verteilt
Kindern Ministern Huren anerkannten Dichtern
die Straßen der größten Stadt der Welt aufgewirbelt
mit unserer Musik voller Schreie Blut und Schweiss
voller Zärtlichkeit Milch menschlicher Liebenswürdigkeit
nichts hat uns geholfen
nichts haben wir erreicht
wir haben wieder unsere Hosen angezogen
uns auch ein wenig das Gesicht gewaschen
haben angefangen unsere Proteste zu lesen
unsere poetischen Schreie
in ordentlichen Klassenzimmern ausgewichster Schulen
beschissener Universitäten
nichts hat uns geholfen
wir haben angefangen zu husten zu sterben
die Welt ist so beschissen geblieben wie sie war
oder noch beschissener
ich bin auch tot
fast ganz zerfallen
nur dieser Dichterverwandte von mir
liest heute ein nichtmein Gedicht
weil er nichts anderes zur Hand hat
ein nichtmein Text
aus dem Gedächtniss

 (8 avgust 06, na rovinjskoj terasi)

 

 

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